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Der #Aufschrei nach dem Sex oder Furcht vor der dauerlosen Gegenwart

Angesichts des Elends der Welt in sich und um sich herum sucht der Mensch Unterhaltung und den schönen Schein.

„Oberstes Ziel ist das Überleben, gefolgt von Sex“ schreibt der Psychologe Paul Verhaege.

Und schon lange vor der Entdeckung der Psychoanalyse schrieb Schopenhauer „Wollust im Akt der Kopulation. Das ist es! Das ist das wahre Wesen und der Kern der Dinge, das Ziel und Zweck allen Daseins.“

David Yalom hat sehr schön zusammengefaßt, wie sich unsere Weltsicht entwickelt hat: „Oft schon wurde festgestellt, daß drei wichtige geistige Umwälzungen die Idee von der zentralen Stellung des Menschen bedroht haben. Als Erster demonstrierte Kopernikus, dass die Erde nicht der Mittelpunkt ist, um den sich alle anderen Himmelskörper drehen. Als Nächster zeigte uns Darwin, dass wir keine zentrale Rolle in der Kette der Evolution spielen, sondern wie alle anderen Geschöpfe aus anderen Lebensformen entstanden sind. Und drittens erklärte uns Freud, daß wir in unserem eigenen Hause nicht die Herren sind – ein Großteil unseres Verhaltens werde von Kräften ausserhalb unseres Bewusstseins beherrscht. Es besteht kein Zweifel daran, dass Freuds verkannter Mitrevolutionär Arthur Schopenhauer war, der schon lange vor Freuds Geburt postulierte, dass wir von tiefgreifenden biologischen Mächten gesteuert werden und uns dann einbilden, wir hätten unser Schicksal bewusst gewählt.“ (339)

Und Schopenhauer führt uns unsere aktuelle Lebenssituation vor und denkt sie zu Ende: „Arbeit, Plage, Müh und Not ist allerdings ihr ganzes Leben hindurch das Los fast aller Menschen. Aber wenn alle Wünsche, kaum entstanden, auch schon erfüllt wären; womit sollte dann das menschliche Leben ausgefüllt, womit die Zeit zugebracht werden? Man versetze dies Geschlecht in ein Schlaraffenland, wo alles von selbst wüchse …- Da werden die Menschen zum Teil vor Langeweile sterben oder sich aufhängen, zum Teil aber einander bekriegen, würgen und morden und so sich mehr Leid verursachen, als jetzt die Natur ihnen auflegt.“

Das Leben von Widersprüchen, die Unbeständigkeit und der Tod sind die einzigen Konstanten menschlicher Existenz.

Sex ist der Schlüssel, das Kopftuch symbolisiert dies perfekt als Ausdruck männlicher Macht über weibliche Sexualität.  Der Islam zeigt es vielleicht am Plakativsten aber es ist auch Teil des Christentums.

Sex ist zudem die Grundlage unserer Existenz und unserer menschlichen Rasse. Psychoanalytiker sagen sogar die Unterdrückung von Sexualität sei die Basis unserer Leistungsgesellschaft.

Sex sells, Erotik verkauft …

Der Mensch ist so beschaffen, dass er das Gewicht von 24 Stunden tragen kann. Die Meditation o.ä. kann dir dabei helfen, leer zu werden, um bei dir zu sein. Die Rückkehr in die soziale Welt danach ist zugleich der Eintritt in die Welt der Wesen, die alle ihre  jeweils eigene Welt sind mit bestimmten Interessen zu bestimmten Zeiten.

Das ist das Schicksal der Menschen – von uns.

„In einem Leben, welches bloß aus dauerloser Gegenwart bestanden hat und jetzt zu Ende ist“ schreibt Schopenhauer.

Dieser Pessismismus oder Realismus wird natürlich vielfach “überwunden” durch Verdrängen oder den Glauben an das Himmelreich in jeder Form und Farbe.

Hier sind wir frei uns zu entscheiden, was wir sehen und was wir glauben wollen. Das Anerkennen der Realität kann so schmerzhaft sein, daß nicht jeder es aushalten kann.

Wer z.B. einmal eine lange tiefenpsychologische Analyse gemacht hat, der weiß vielleicht wie es sich anfühlt, wenn man viele Monate vor seelischen Schmerzen mit körperlichen Wirkungen durch neue Erkenntnisse über die nun sichtbaren Elemente der eigenen Lebensgeschichte, die vorher im Verborgenen wirkten, sich ein Ende wünscht.  Dabei wird klar, daß nur der Weg dadurch mehr Gleichgewicht und Ausgleich im eigenen Leben möglich machen kann.  Aber das stimmt auch nur bedingt, weil mehr Verstehen zwar andere Reaktionen ermöglicht aber die Bedingungen der Existenz bleiben. Man wird gedanklich freier und diese Freiheit ermöglicht mehr emotionale Sicherheit und verändertes Handeln. Das ist sehr viel.

Für mich ist dabei faszinierend, daß durch das Sprechen in der tiefenpsychologischen Analyse das Unterbewusstsein sich plötzlich einmischt und Gedanken freisetzt, die ins Gespräch fliessen, alles neu bewerten und innerlich dann Erleichterung bringen können. Das Verdrängte spricht. Plötzlich ist der Gedanke da. Und die Umlenkung des Blicks durch professionelle Gesprächspartner öffnet dann die Vorhänge, die Blicke möglich machen, die kaum auszuhalten sind bis man die Kraft hat sich dem zu stellen. So kann manches leichter werden im eigenen Leben.

Aber immer muß etwas reif sein und es muß in Worte gefaßt werden können. Wo dies nicht möglich ist sind andere Formen als Ausdruck des Unbewußten möglich, Handlungen, Haltungen und Hoffnungen zwischen Kunst und Gewalt.

So ende ich hier im Bewusstsein, daß dieses Ende nur ein weiterer Schritt in der Unbeständigkeit des Lebens ist.

 

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Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl von David Servan-Schreiber

Die besten Bücher sind fast immer dünn und klein und voller Essenz. Genau das ist hier der Fall.

David Servan-Schreiber schreibt über seinen Kampf gegen den Krebs. Es ist ein Buch über sich und die Welt und wie man mit ihr umgeht bis zum Tod. Er selbst hatte mit den Büchern “Die neue Medizin der Emotionen” und “Das Antikrebs-Buch” vorher vielen Menschen geholfen. Dann starb er 2011 an Krebs. Er hatte 19 Jahre mit der Krankheit gelebt.

Servan-Schreiber schildert seinen Umgang mit dem Erfolg seiner Bücher. “Die Beweise von Interesse und Anerkennung, die ich danach erhielt, haben mich so glücklich gemacht, dass ich mich mit Feuereifer darauf stürzte… Unzählige Male wechselte ich die Zeitzonen, und man weiß, dass das dem Immunsystem schadet…. Die massive Störung meiner biologischen Rhythmen erreichte in dem Jahr vor meinem Rückfall ihren Höhepunkt…. In den Jahren 2009 und 2010 flog ich mindestens einmal im Monat über den Atlantik, und ein- oder zweimal pro Woche war ich in Frankreich oder Europa unterwegs. Das war zuviel. Schließlich war ich vollkommen erschöpft. Und dann kehrte mein Tumor zurück.”

Nach der Rückkehr der Krankheit lebte er noch dreizehn Monate.

In dieser Zeit “schrieb” er dieses Buch.

“Wenige Tage vor seinem Tod, als seine Kräfte schwanden, warf er noch einen Blick auf die französische Bestsellerliste, auf der sein Buch ganz oben stand. Das vermittelte ihm das Gefühl, dem Krebs in einer sehr wichtigen Weise die Stirn geboten zu haben: Er hatte nicht zugelassen, dass die Krankheit ihn daran hinderte, nützlich zu sein, zu helfen, das Leiden anderer Menschen zu lindern.”

So schreibt sein Bruder im Nachwort zur deutschen Ausgabe dieses Buches, das im Verlag Antje Kunstmann erschienen ist.

Der Philosoph Epiktet hat ein ähnlich schmales Buch geschrieben, das bis heute vielen Menschen als Hilfe durch das Leben dient.

Dort sagt Epiktet: “Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen von den Dingen beunruhigen die Menschen. So ist z.B. der Tod nichts Schreckliches, sonst wäre er auch dem Sokrates so erschienen; sondern die Meinung von dem Tod, daß er etwas Schreckliches sei, das ist das Schreckliche.”

Und er schreibt weiter: “Tod und Verbannung und Alles, was als schrecklich erscheint, soll dir täglich vor Augen schweben, am meisten aber der Tod; so wirst du nie weder an etwas Gemeines denken, noch etwas allzuheftig begehren.”

Es gibt ein paar einfache Wahrheiten auf dieser Welt.

Wir müssen alle sterben. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und das Sterben haben alle Menschen vor uns geschafft.

Und doch reicht dies nicht. Solange man lebt entscheidet man selbst, wie man die Dinge bewertet, was man tut in den Grenzen des persönlich Möglichen und wie man mit seiner Lebenszeit umgeht.

Es ist eine der Paradoxien des Schicksals, dass ein Arzt, der ein Antikrebsbuch schreibt, an Krebs mit 50 stirbt.

In meinen Augen ist die Analyse von Servan-Schreiber klar: Weniger ist mehr und Erfolg lenkt vom Wesentlichen ab.

Das ist in meinen Augen ein klares Fazit im Angesicht des Todes.

Und das ist für mich der Grund, dieses Büchlein neben Epiktet in mein Regal zu stellen. Eine größere Ehre kann ich ihm nicht zukommen lassen.

David Servan-Schreiber

Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl

Übersetzt von Ursel Schäfer

ISBN 978-3-88897-751-0